Es gibt viele Gründe um aus der Haut zu fahren. Ordentlich Dampf abzulassen, bringt zwar kurzfristig Erleichterung und baut Magengeschwüren vor, gerade im beruflichen Kontext können die Folgen allerdings weniger gut sein: Verspannung, Verwirrung, Kontrollverlust, Frustration, Schlaflosigkeit bis hin zu Konflikten, Erschöpfung oder sogar Schlimmerem.
Besser ist, den Ärger erst gar nicht hochkochen zu lassen. Oder kurz geschrieben: Gelassener zu werden.
Der Schlüssel zur Gelassenheit beginnt im Kopf
Gelassenheit zeichnet sich dadurch aus, dass Ruhe und Ordnung in deinem Kopf herrscht, du Unabänderliches akzeptiert und damit angemessen umgehst. Menschen, die das beherrschen, lassen sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen, geraten kaum in Panik und regen sich schon gar nicht über Kleinigkeiten auf. Vielmehr gibt ihnen ihre Gelassenheit innere Sicherheit, so dass sie souverän und entspannt mit Problemen umgehen können und nicht von überschwänglicher Angst überrannt werden.
Mit anderen Worten ausgedrückt:
- Gelassenheit bändigt die Ohnmacht, die uns in Rage versetzt.
- Sie bringt uns die Handlungsfähigkeit zurück, die uns blinde Wut und explodierende Emotionen nehmen können.
Voraussetzung dafür ist allerdings, die eigene Macht zu erkennen, die Situation lösen zu können beziehungsweise tatsächlichen Handlungsspielraum zu haben.
Ursachen für mögliche Ausraster sind sogenannte Grenzüberschreitungen:
Jemand greift dich persönlich an, dringt in deine Privatsphäre ein oder tritt deine Werte mit Füßen. Du fühlst dich ungerecht behandelt, ausgenutzt oder betrogen. Dies sind Situationen, die einfach passieren, die wir zunächst nicht beeinflussen können. Und ohne jede Überlegung reagieren wir – wie automatisch, fast reflexartig:
- Jemand nimmt dir die Vorfahrt – und du hupst blindwütig zehn, zwanzig, dreißig Sekunden lang, obwohl der Drängler schon längst weitergefahren ist.
- Jemand rempelt dich an – und du motzt oder rempelst gar zurück.
Solche Reaktionen sind zwar menschlich verständlich, schaukeln in der Regel aber alles nur noch auf. Und zwar vor allem in uns selbst.
Du allein entscheidest, ob du dem Anderen so viel Macht über dich geben willst, so dass er dich provozieren und emotional nachhaltig belasten kann!
Es gibt Studien, die zeigen, dass gelassene Menschen gesünder sind: Sie grübeln seltener, sind zufriedener, glücklicher mit ihrem Leben. Sie treffen sogar bessere Entscheidungen: Egal, wie dick es auch kommt, ihr Verstand bleibt Herr der Lage, nicht ihre Gefühle.
Deshalb sind Gelassene oft auch erfolgreicher, weil sie Probleme und Krisen mit genügend Abstand betrachten können und so schneller konstruktivere und bessere Lösungen finden.
Wer ständig nervös, sprunghaft und planlos agiert, gibt nicht gerade das Bild eines souveränen Entscheiders ab, der weiß, was er tut. Eher das eines Getriebenen, der selbst verunsichert ist!
Im Alltag und Beruf gelassener sein
Die meisten Menschen wünschen sich, im Alltag und Beruf gelassener zu sein und selbst
Schicksalsschläge souveräner zu meistern. Ein schöner Spruch von Reinhold Niebuhr bringt
dies auf den Punkt:
Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann;
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann;
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Gelassenheit kann erlernt werden
Der erste Schritt zu mehr Gelassenheit ist es sich bewusst zu machen, dass du tatsächlich und wirklich die Wahl hast. Dass du nicht reagieren musst, sondern entscheiden kannst, ob
und dementsprechend wie du reagieren willst.
Die Kunst liegt darin, in der akuten Situation genau dieses Wissen abzurufen. Dies ist auf Anhieb gar nicht so leicht. Schließlich praktizieren wir unbewusst bestimmte Verhaltensweisen schon unser ganzes Leben lang. Glaube mir, auch ich weiß, wovon ich hier spreche.
Erwarte daher bitte keine schnelle Erfolge, du kannst jedoch etwaige Schritte zu mehr Gelassenheit trainieren. Und wenn ich von Training spreche… Nur durch ständige Wiederholung nimmt langsam die Gelassenheit zu. Ich selber durfte das in einer über einem Jahr dauernden Gruppentherapie und in einer fünf wöchigen psychosomatischen Reha in Clausthal-Zellerfeld lernen.
1. Wahrnehmung prüfen
Zuerst einmal solltest du deine Wahrnehmung prüfen: Was ist genau passiert? Ist es wirklich so schlimm? Was sind wirkliche Folgen und was nur eingebildete und vermutet? „Wenn ich meinen Job verliere, bekomme ich nie wieder einen!“, ist eine verbreitete Existenzangst. Oft stimmt das aber so gar nicht.
2. Sprache wählen
Hinterfrage deine Wortwahl. Klingt banal, aber so werden unbewusst aus Mücken schnell Elefanten. Sprichst du gerne von „Mega-Problemen“, „katastrophalen Zahlen“, „furchtbaren Desastern“, „irrsinnigen Entwicklungen“, dem „totalen GAU“? Nicht?! Gut so! Denn Katastrophen-Sprecher sind meist auch Katastrophen-Denker. Eine derart übersteigerte Sprache erzeugt erst recht das Gefühl von Ohnmacht.
3. Entscheidung treffen
Es ist deine Entscheidung: Machen dir klar, nur du alleine hast die Wahl, ob du gelassen bleiben willst oder aus der Haut fahren möchtest. Dies ist tatsächlich eine bewusste Entscheidung.
4. Nein-Sagen lernen
Das gilt insbesondere im Fall drohender Überforderung. Wenn du merkst, dass du diese Aufgabe nicht auch noch schultern kannst, dann delegiere sie (falls das geht) oder lehne sie mit einer guten Begründung ab. Hier gibt es weitere Tipps zum Nein-Sagen von mir.
5. Prioritäten setzen
Entscheide, was wirklich wichtig und dringend ist und was noch Zeit hat. Die Eisenhower-Methode eignet sich dafür besonders gut. Ordnung schafft Überblick, der wiederum gibt Sicherheit – und die entspannt.
Hilfreich ist die Eisenhower-Matrix, die Aufgaben nach Wichtigkeit und Dringlichkeit sortiert:
Kategorie | Bedeutung | Beispiel |
---|---|---|
Wichtig & dringend | Sofort erledigen | Abgabetermin heute |
Wichtig & nicht dringend | Termin einplanen | Langfristiges Projekt |
Dringend & nicht wichtig | Delegieren | Routine-Anfragen |
Weder dringend noch wichtig | Minimieren | Ablenkungen |
6. Notbremse ziehen
In der Psychologie wird dies auch „Exit-Strategie“ genannt: Wenn ein Streit zu eskalieren droht, mache nicht weiter, sondern verlasse das Schlachtfeld beziehungsweise den Raum. Haben sich die Gemüter beruhigt, kann man eher nochmals einen Gesprächsversuch unternehmen.
Weitere Übungen und Tricks um Gelassenheit zu lernen
1. Durchatmen
Wenn das Blut kocht, atme erst einmal tief durch und zähle bis zehn. Falls nötig auch bis fünfzig. Setze oder stelle dich dazu aufrecht hin, die Schultern gerade. Nun versuche nur durch die Nase in den Bauch zu atmen, ohne dass sich der Brustkorb hebt.
Atme nach der 4-6 Methode: Langsam und tief einatmen und dabei bis vier zählen, langsam durch den Mund ausatmen und dabei bis sechs zählen. Das Ganze wiederholst du mindestens fünf Mal. Am besten 10 Minuten lang am Stück. Mit der Übung kannst Du Ärger genauso wegatmen wie Stress. Auch wenn Abends der Brummkreisel im Kopf aktiv ist, du aber lieber einschlafen möchtest. Nutze diese Atemtechnik. Während meiner Reha musste ich das jeden Tag machen. Hilfreich ist hierbei die kostenlose App „Paced Breathing“. Die App ist für Android und iOS verfügbar. Einfach mal im App-Store danach suchen, installieren und kurz die Einstellungen anpassen. Ich kann nur sagen: Mir hilft diese Technik und auch die App sehr!
2. Analysieren
Wenn du spürst wie der Ärger anschwillt, mache einen Schritt zur Seite und frage dich, was dich auf die Palme treibt. Letztlich beginnt der Ärger in dir selbst, das Umfeld ist nur der Auslöser. Der Abstand zu sich selbst schärft den Blick für das große Ganze. Indem du die erlebte Kränkung bewusst auf das Niveau holst, das ihr zusteht, bringen Sie auch deinen Groll wieder auf ein Normalmaß.
3. Überhören
Es ist ein Zeichen von Reife und Größe, wenn du nicht auf jeden Fehdehandschuh reagierst. So manches Ärgernis lässt sich aus der Welt schaffen, indem du einfach mal auf einem Ohr taub bleibst.
4. Schweigen
Der Punkt kann gar nicht stark genug betont werden: Solange du vor Wut schnaubst, solltest du die Klappe halten. Schon im eigenen Interesse. Ärger kann zum Boomerang werden, wenn man seine Zunge nicht im Zaum hält.
5. Einordnen
Denke langfristig: Rache ist oft der erste Impuls auf das Ärgernis. Rache hat aber noch nie ein Unrecht gut gemacht, sondern eher verschlimmert. Wenn du deinen Blick in die Zukunft, die Konsequenzen und Folgen richtest, wirst du sehr schnell erkennen, welche Reaktion die beste ist.
6. Bewegen
Bewegung ist die beste und natürlichste Medizin gegen Ärger und Stress. Sie baut unmittelbar Stresshormone ab und schafft Distanz zu den Problemen des Alltags. Also spaziere erst einmal eine Runde um den Block und stampfe so deine Wut in Grund und Boden. Auch regelmäßiges Wandern gehen hilft sehr, um Ärger und Stress los zu werden. Siehe dir auch diesen Blogartikel dazu an.
7. Reden
Konsultiere einen guten Freund und schütte diesem dein Herz aus. Reden baut spontanen Stress und Ärger ab. Es hilft aber auch, die Gedanken zu sortieren und schützt zugleich vor Fehleinschätzungen. Sei aber vorsichtig, wem du dich anvertraust. Der Kollege gegenüber ist nicht immer der beste Ratgeber, womöglich nutzt er die Gelegenheit, um die Information später gegen dich zu verwenden.
8. Trinken
Am besten ein Glas Wasser. Dieser einfache Trick sorgt dafür, dass du deinen Ärger sprichwörtlich wegspülst und sich deine Nerven bald wieder beruhigen. Außerdem ist reichlich Wasser trinken bekanntlich gesund.
9. Progressive Muskelrelaxation
Meditations- und Entspannungsübungen wie Autogenes Training oder Yoga können ein stürmisches Temperament zähmen. Die hier genannte Methode hat der Schwede Edmund Jacobson entwickelt:
Dabei geht es darum, einzelne Muskelgruppen der Reihe nach gezielt anzuspannen, um sie sodann abrupt wieder zu lösen. So lässt sich der Körper binnen weniger Minuten vollständig entspannen. Es braucht dazu allerdings etwas Übung. So geht es:
Beginne mit den Füßen. Balle zuerst die Zehen für etwa vier Sekunden mit aller Kraft zusammen, dann löse den Druck schlagartig. Während du eine kurze Pause machst, versuche zu spüren, wie die Wärme in die Fußspitzen steigt. Danach gehst du von der Ferse Stück für Stück und Muskelgruppe für Muskelgruppe weiter nach oben vor. Die meisten Menschen sind schon entspannt, bevor sie bei den Armen ankommen.
10. Vergeben
Ohne Vergebung ist man am Ende nur noch von Feinden umgeben. Irgendwann muss man die Situation akzeptieren, wie sie ist und sich versöhnen – unabhängig davon, wie sehr man verletzt wurde. Die Vergangenheit kann man nicht ändern, aber die Zukunft.
11. Vergessen
Der Punkt hängt eng mit dem Vergeben zusammen. Mit der Vergangenheit abzuschließen bedeutet auch, alte Wunden nie mehr aufzureißen. Sowohl im eigenen Interesse, aber auch, weil es Teil der Abmachung ist, sich wirklich zu versöhnen und zu vergeben.
12. Selbstgespräche
Zum einen können Selbstgespräche, das haben Wissenschaftler ermittelt, die eigene Leistungsfähigkeit enorm steigern, Ablenkungen und Störgeräusche ausblenden sowie helfen, Probleme schneller und besser zu lösen. Zum anderen reduzieren sie Aggressionen und sorgen für einen differenzierteren Blick und mehr Klarheit im Geist.
13. Suchen
Egal, wie böse die Tat war – sie definiert den Anderen nie völlig. Jeder Mensch hat auch seine guten Seiten. Zugegeben, bei Manchen muss man sie länger suchen. Aber es gibt sie. Indem man seinen Blick darauf fokussiert, verändert man zwar noch nicht den Anderen, aber sich selbst. Oft bemerkt man dabei, dass die Feinseligkeit nur auf Stolz, Angst, Ignoranz, Vorurteilen oder Missverständnissen beruht hat. Und womöglich erkennt man darin sogar etwas von sich selbst.
14. Lachen
Bekämpfe deine Wut mit Humor. Wissenschaftler, die das Lachen erforschen, haben herausgefunden: Lachen baut Stress ab, stärkt Abwehrkräfte, hebt die Stimmung, senkt den Blutdruck und lindert Schmerzen. Es fördere sogar berufliches Fortkommen: Heitere Belegschaften sind gesünder, daher produktiver und nachweislich kreativer. Vor allem aber baut es soziale Beziehungen auf und hält diese zusammen.
15. Sei dankbar
Dankbarkeit verbessert sowohl die Beziehungen zu anderen Menschen, verbannt negative Gedanken und reduziert Stress. Überlege mal: Es hätte vielleicht noch schlimmer kommen können. Und womöglich hat dich der akute Fauxpas noch vor größerem Schaden in der Zukunft bewahrt. Lerne also, dankbarer zu werden – auch für die Dinge, die du schon erreicht hast, für Freude und für deine Gesundheit.
In der Rubrik Selbstmanagement findest du weitere Tipps von mir.